GUT KRETINGA
Gut Kretinga wird in schriftlichen Quellen seit dem 16. Jahrhundert erwähnt. Im Jahr 1572 kaufte Jan Hieronimowicz Chodkiewicz das Anwesen. Später übernahm es die Magnatenfamilie Sapiega, wiederum später waren die Fürsten Massalski, die Grafen Potocki und Subow Besitzer des Guts. 1874 schließlich wurde das Gut von Graf Jósef Tyszkiewicz ersteigert, welcher ein Jahr später mit seiner ganzen Familie nach Kretinga übersiedelte und das Herrenhaus neu gestaltete. Im Weißen Saal wurden Festmähler gehalten, im Roten Saal hörte man Musik. Das Gut unterhielt ein eigenes Orchester. Bei gutem Wetter erholten sich die Tyszkiewicz in der Laube neben einer riesigen Kastanie oder unternahmen auf den Teichen des Gutsgeländes eine Ruderpartie.
Bei schlechtem Wetter spielte das Orchester in der Orangerie. Der neben dem Herrenhaus erbaute Wintergarten ist heute noch einer der größten privat betriebenen in Europa. In dem dreistöckigen Gebäude wachsen Palmen, Agaven und sogar eine der ältesten Pflanzen der Welt, der Sagopalmfarn. Über den Köpfen hörte man Kanarienvögel zwitschern, zu Füßen des Besuchers murmelten kleine Teiche. Zu Weihnachten wurde eine riesige Tanne aufgestellt. Unter ihr versammelten sich die Kinder der Dienerschaft um Geschenke entgegenzunehmen.
Der Graf war Neuheiten gegenüber sehr aufgeschlossen und initiierte 1878 in der Wassermühle des Guts den Bau des ersten Wasserkraftwerks in Litauen. Einige Jahre später wurde die erste Telefonleitung verlegt. Sie diente dem Grafen dazu, seine drei Anwesen in Kretinga, Plungė und Rietavas zu verbinden.
Am Teich ließ der vermögende Tyszkiewicz eine Heilanstalt errichten. Dort behandelte der Gutsarzt unentgeltlich verschiedenste Leiden der Insten und Gutsangestellten. Nebenan befand sich ein Altersheim. Die Gräfin Maria Tyszkiewicz eröffnete den ersten Kindergarten in Litauen.
1891 starb der Graf, dem Gut Kretinga seine Blütezeit zu verdanken hatte. Er wurde in Palanga aufgebahrt und schließlich wurde der Leichnam mit einer Paradeuniform bekleidet in einem gläsernen Sarg auf seine letzte Reise nach Kretinga geschickt. Dort bestattete man ihn in der Gruft der Familienkapelle. Nach seinem Tod ging das Gut an seinen Sohn Aleksander Tyszkiewicz. Der neue Besitzer gründete Industrieunternehmen und züchtete Rinder. 1940 wurde er von den Sowjets vertrieben. Ein Jahr später kehrte er noch einmal auf das verwüstete Gut zurück, um kurz darauf mit seiner Tochter das Land endgültig zu verlassen. Er starb 1945 in Deutschland.
Nach dem Krieg wurden im Herrenhaus eine Buchhaltungsschule und später eine Landwirtschaftsschule betrieben. Nebenan baute man aus Silikatstein Schulanbauten, Wohnheime und Garagen. Heute befindet sich im Herrenhaus und in der Orangerie ein Museum.