EIN AUSFLUG INS 19. JAHRHUNDERT: DIE GUTSHÖFE TRAKŲ VOKĖ UND UŽUTRAKIS

Die nur 20 Kilometer voneinander entfernten Gutshöfe Trakų Vokė und Užutrakis bildeten den Lebensmittelpunkt zweier verschiedener Stränge des Adelsgeschlechts der Tyszkiewicz. Ein Besuch versetzt einen im Nu in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als beide Gutshöfe nach vielen Besitzerwechseln schließlich Eigentum eines einzigen Herren wurden. Möchte man da nicht Mäuschen spielen und erfahren, wie das Leben der Grafen aus der Nähe ausgesehen hat? Welche Feste in den alten Gemäuern gefeiert wurden? Und was aus den Anwesen wurde, nachdem die Besitzer sie verlassen mussten?

Das frisch erworbene Gut Užutrakis war Graf Józef Tyszkiewicz zu schlicht. Unter seiner Anleitung wurde die Vision des aus Warschau angereisten Architekten Józef Hus Wirklichkeit und es entstand ein Herrenhaus im Stil des Klassizismus, das Eleganz und Luxus verströmte. Eine Besonderheit war die beeindruckende hintere Fassade, welche die Vorderseite an Pracht noch übertraf. Auf dieser Seite, wo die Halbinsel am weitesten hervorragt, befand sich auch eine Skulptur der Mutter Gottes mit dem Kind. Diesen Ort hatten die Tiškevičiai nicht von ungefähr gewählt, denn sie pflegten stets auf dem Wasserweg anzureisen. Ein Fährmann setzte sie über eine schmale Landenge zwischen den Seen Galvė und Skaistis hinüber.

Das in der Nähe gelegene Gut Trakų Vokė diente der Familie von Jan Witold Emanuel Tyszkiewicz zunächst als Sommerresidenz, bis man beschloss sich dort gänzlich niederzulassen. Der Architekt italienischer Abstammung Leandro Jan Ludwik Marconi entwarf in ihrem Auftrag ein Palais nach dem Vorbild der Warschauer Königsresidenz. Mit wertvollen Gemälde, Marmoröfen, Kristalllüstern und eigens im Ausland gefertigten Möbeln stand die Inneneinrichtung dem prächtigen Äußeren in nichts nach.

Trotz des repräsentativen Aussehens des Herrenhauses war von Jan Witold Emanuel Tyszkiewicz nicht verschwenderisch und machte nur wohloberlegte Anschaffungen. Er war ein Freund der Wissenschaften und schätzte Fleiß. Seine Frau Izabela war ebenso schön wie fürsorglich. Ihre Aufmerksamkeit und Wärme wurde nicht nur der Familie, sondern auch den Gutsbediensteten zuteil. Die kalte Jahreszeit verbrachte die Herrin ihre Zeit mit Stricken, und am Weihnachtsmorgen wurden die Bediensteten mit warmen Mützen, Strümpfen, Schals und Handschuhen bedacht. Die ganze Familie kleidete sich auch im Alltag elegant. Wenn Gäste ins Haus standen, erwachte das Gut zu Leben. Das Grafenpaar gab Wohltätigkeitsbälle und feierte vor allem Namenstage mit großem Aufwand.

Ähnlich war der Lebensstil von Józef Tyszkiewicz und seiner Frau Jadvyga. Auch hier fehlte es nicht an Gästen und Festen. Jadvyga galt sogar als vornehmste Dame Litauens. Sie hatte eine Schwäche für Seidenröcke, die sich bei der Polonaise besonders kunstvoll bauschten. Um keine Modeneuheit zu verpassen, las sie deutsche und polnische Journale. Der beeindruckendste Saal auf Gut Užutrakis war der Festsaal. Seine Wände schmückten Spiegel mit Goldrahmen, und an die Decken waren blaue Wölkchen gemalt. Im Vestibül standen stets frische Blumen und in den Zimmern wurden ausländische Parfüms zerstäubt. Trotz des angenehmen Lebensstils hatte Józef Tyszkiewicz die Zügel fest in der Hand und sorgte nach Kräften dafür, dass das Gut rentabel wirtschaftete. Er handelte mit Milch, Fisch und Obst und unterhielt außerdem ein Wirtshaus, eine Käserei, eine Räucherei und eine Ziegelei.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs hatte das Idyll ein Ende. Die Tyszkiewicz flüchteten nach St. Petersburg. Wertvollen Schmuck, Edelsteine und Gold nähten sie in die Kleidung und Spielzeuge der Kinder ein. Andere Wertgegenstände gaben sie in die Obhut einzelner Bediensteter, einiges vergruben sie oder versteckten es auf andere Weise. Nach dem Krieg kehrte Jadvyga als Witwe auf das Gut zurück. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ging das Gut in die Hände eines neuen Besitzers über, bis es schließlich enteignet wurde. Nach dem Krieg beherbergte es ein KGB-Sanatorium, später ein staatliches Tourismusunternehmen. Heute gehört es zum historischen Nationalpark Trakai.

Fast 100 Jahre blieben die Tyszkiewicz auf Gut Trakų Vokė. Von Generation zu Generation wurde der Besitz an die Söhne weitergereicht. Während des Zweiten Weltkriegs bewohnten deutsche Besatzer das Gut. Gemälde, Möbel, Kristalllüster und andere Wertgegenstände wurden geplündert, die prachtvolle Fassade zerstört. Erst seit 2014 steht das Gut wieder Besuchern offen.

Ein Gang über das Gut Trakų Vokė lässt die vergangene Pracht noch erahnen. Erhalten ist nicht nur das Hauptgebäude, sondern auch die Kapelle mit dem Mausoleum. Letztere war das erste Bauwerk des Gutsgeländes. Der Altar der im neogotischen Stil errichteten Marienkapelle war aus Eichenholz geschnitzt sowie mit reichlich Gold und dekorativen Elementen ausgestattet. Unter dem Zaren deklarierte man die Kapelle als Scheune und nahm das Kreuz vom Dach. Nur so gelang es, das Heiligtum vor der Zerstörung zu bewahren.

Auf Gut Užutrakis kann man heute noch den alten Friedhof besichtigen. An diesem Ort hatte sich einstmals ein heidnisches Heiligtum befunden, später ließ einer der Gutsbesitzer dort eine Unitarierkirche erbauen. Die Tyszkiewicz schließlich errichteten eine katholische Kirche mit angeschlossenem Friedhof für die Familienangehörigen.

Eine Besichtigung von Užutrakis bietet auch Gelegenheit, sich eine authentische Schnapsbrennerei aus dem 19. Jahrhundert samt Lagerräumlichkeiten anzusehen. Der rote Backsteinbau setzt einen besonderen Akzent im Ensemble der Wirtschaftsgebäude. Hier wurden die Getränke gebrannt, die das Gut berühmt machten: Quittenlikör und Schwarzer-Johannisbeer-Wein. Das war nicht nur eine Verdienstquelle, sondern man glaubte zudem, dass nach der damaligen Technologie hergestellte Spirituosen eine positive Wirkung auf den Organismus haben. Seine Gäste pflegte Józef Tyszkiewicz mit Haselnusslikör zu bewirten. Schnapsbrennerei und Lager wurden später in Wohnungen umgewandelt.

Eines der interessantesten Gebäude von Trakų Vokė ist der Marstall. Seine Form gemahnt an ein Hufeisen. Jan Witold Emanuel Tyszkiewicz war ein echter Pferdenarr und hatte sich sogar eine überdachte Reithalle und ein Kutschenhaus eingerichtet. Im Marstall wurden nur ausgewählte Pferde gehalten, die besonders wohlhabenden Käufer zugedacht waren. Die Arbeitspferde standen gemeinsam mit Rindern, Schweinen und Hühnern in den beiden Viehställen.

Außergewöhnlich sind auch die Parks der beiden Anwesen. Beide wurden von ausländischen Landschaftsarchitekten konzipiert und enthalten Lindenalleen, Blumenbeete, Ruhebereiche und Spielzonen. Die französischen Rabatten im Park von Gut Užutrakis waren der bevorzugte Aufenthaltsort der Gräfin. Sie legte Herbarien an, kreierte Duftöle aus Blütenextrakt. Die Teiche des Parks von Gut Trakų Vokė umgeben Tunnel von Laubbäumen. In den Kaskaden an den Hängen waren sogar – für Damen und Herren separat – Steinwannen eingerichtet. Beide Parks sind bis heute erhalten und in guter Pflege.

Ein Besuch der Räumlichkeiten in den Herrenhäusern mit anschließendem Spaziergang im Park vermittelt einen authentischen Eindruck vom unbeschwerten Leben der damaligen Gutsbesitzer.